Das Thema der Siebten Schweizerischen Geschichtstage ist:

«(Un)sichtbarkeit».

Visualität ist im 21. Jahrhundert allgegenwärtig. Ihre ästhetischen, technischen und sozialen Bedingungen und ihre Auswirkungen verlangen nach einer historiographischen Einordnung und Perspektivierung. Wie thematisiert die historische Forschung Praktiken der (Un)sichtbarmachung? Wie geht die Geschichtswissenschaft mit Bildquellen um? Und was macht sie selbst in ihrer Arbeit sichtbar, und was nicht? Die Panels der SGT untersuchen die Art und Weise, in der Menschen, Zivilisationen und Kulturen (Un)sichtbarkeit verstanden, entdeckt, verändert oder geschützt haben: die Kunstgeschichte wie auch die Wissenschafts- und Technikgeschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte ebenso wie die politische Geschichte – unter Berücksichtigung lokaler, nationaler, internationaler und globaler Perspektiven. 

Zur Strukturierung der Diskussionen werden vier thematische Schwerpunkte hervorgehoben:

Sichtbarkeit und Macht

Für viele Menschen war (und ist) es entscheidende Strategie, nicht den Blick staatlicher Kontrollinstanzen auf sich zu ziehen. Sichtbarkeit geht umgekehrt aber auch mit Sicherheit einher. So ereignen sich Gewalt, Missbrauch und allgemein Devianz im Verborgenen, im Schutz der Privatsphäre oder der Anonymität. (Un)sichtbarkeit ist nichts selbstverständlich Gegebenes, sondern reich an Voraussetzungen in technischer, kultureller, politischer und sozio-ökonomischer Hinsicht. Es geht um einen Schauplatz von Machtansprüchen, miteinander konkurrierenden Hierarchien und Subversion. In den Publikationsmedien der Moderne streiten unterschiedliche Akteure mit jeweiligen ökonomischen und politischen Interessen um den Platz auf Plakatwänden, in Zeitungen und Bildschirmen. Gleiches galt für vormoderne Gesellschaften, in denen im Inneren von Kirchen ebenso wie auf Kleidern, Hauswänden und auf den Strassen sichtbare Markierungen von Zugehörigkeit und sozialer Exklusion miteinander konkurrierten – von den Zeichen auf den Körpern unter den Kleidern und geheimen Erkennungsmerkmalen für Eingeweihte ganz zu schweigen.

Besonderheit von Bildquellen

Der digitale Wandel beschleunigt und dramatisiert die öffentliche Diskussionskultur. Dabei wird die visuelle Kommunikation neben der Schriftlichkeit immer wichtiger. Durch die Generierung eigenständiger Visualisierungen entstehen neue, täuschend echte oder surreale Welten, in welchen Repräsentationsformen des Sozialen und die damit verbundenen Machtverhältnisse oftmals reproduziert und akzentuiert werden.

Im Zeitalter umfassender digitaler Modellierungs-, Veränderungs- und Generierungsmöglichkeiten, was  bedeuten Bilder als historische Quellen? Darüber hinaus scheinen Bilder eine besonders unmittelbare Evidenz zu haben zur Vergegenständlichung sozialer Ereignisse. Wie ist diese spezielle Kommunikationsleistung des Visuellen historisch zu verstehen gerade mit Blick auf ungelöste Konflikte und andauernde Forschungsdebatten?

Funktion und Nutzung von Bildern

Lange konnten sich nur Angehörige der herrschenden Elite gemalte Porträts leisten. Das Aufkommen der Fotografie demokratisierte den Zugang zur Bildproduktion auch im Globalen Süden und erhöhte die Sichtbarkeit persönlicher Lebenswelten. Bildliche Sichtbarkeit spielte in der Vergangenheit für Staaten und kommerzielle Unternehmen eine wichtige Rolle. 

Luzern ist einer der Geburtsorte des Tourismus, heute eine der umsatzstärksten Dienstleistungsindustrien der Welt. Die «Fremdenindustrie», wie sie im 19. Jahrhundert hiess, will ihre Attraktionen unübersehbar machen – und beruht darauf, dass vieles andere unsichtbar wird. Auch aktuelle Debatten um «kulturelle Aneignung» drehen sich um diesen Punkt.

Was macht die Geschichtsforschung sichtbar, was nicht?

Das Thema «(Un)sichtbarkeit» eröffnet zudem die Möglichkeit, einige grundsätzliche Fragen an die Funktion der Geschichtswissenschaften in der Gegenwart zu stellen. Geschichte definiert sich gerne als Sichtbarkeitsagentur, die aus den Archiven zuvor verborgene Sachverhalte in die Gegenwart transportiert. Was wird dabei visualisiert und sichtbar gemacht, was vergessen und unsichtbar?

Diese Überlegungen mögen als Anregungen dienen für die Debatte unter Historikerinnen und Historikern sowie für den Dialog zwischen Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern und einem breiteren Publikum. Unser Thema hat starke Aktualitätsbezüge, und das ist Absicht: Wir verstehen die Geschichtstage nicht nur als einen Ort der Erneuerung des Fachs, sondern möchten auch eine breitere Öffentlichkeit ansprechen.